Montag, 20. Oktober 2014

Blog-Umzug

Liebe Freunde von "Masters of Car Design", der Blog ist umgezogen auf meine Website www.markus-caspers.de/Blog. Dort werde ich in loser Folge die Etappen und Fragen des Automobildesigns weiter erörtern.

Mittwoch, 23. April 2014

Folge 17: Untergegangen im Wohlstand

Trotz Wirtschaftswunder nahm die Konzentration der Automobilindustrie in den 1950er Jahren in Deutschland zu. Die Vielfalt der Hersteller war bereits in den 1920er Jahren massiv geschrumpft, nach dem Ende des 2. Weltkriegs setzte sich dieser Prozess fort, auch wenn hin und wieder neue Marken auf den Markt drängten. So begann Ende der 1950er Jahre der Landmaschinenhersteller Glas nach dem italienischem Vorbild ISO Motorroller und Kleinstwagen zu produzieren. Das Glas Goggomobil wurde so erfolgreich, das die Hans Glas GmbH ihre Modellpalette erweiterte und ab 1962 eine hochmodernes Portfolio von Autos der unteren bis zur oberen Mittelklasse besaß. Designt hatte sie allesamt Pietro Frua, nach Giovanni Michelotti das bekannteste Ein-Mann-Studio Italiens. 1966 wollte Glas in die Oberklasse vorstoßen und präsentierte ein V8-Coupé, wieder von Frua gezeichnet, das man in Deutschland »Glaserati« nannte wegen seiner Ähnlichlichkeit zu von Frua designten Sportwagen der Dreizack-Marke. Doch so viel Extravaganz war für Glas zu viel. Ende 1966 übernahm BMW die Marke und das Werk.
Zweimal Glas, zweimal Frua: Der "große" GT, eigentlich ein sehr zierliches Auto, und der Glas 1500.

Vor seinem Engagement für Glas wurde Frua bereits für einen anderen deutschen Hersteller tätig: Borgward. Das Bremer Unternehmen hatte schon in den 1920er Jahren die Marken Hansa und Lloyd akquiriert, die nach dem Krieg als Produktlinien im Konzern weiter liefen. Um 1957/58 begann die Zusammenarbeit mit Pietro Frua, die das Kleinwagen-Cabrio Lloyd Alexander hervorbrachte. Doch man munkelt auch, das Frua am Borgward Isabella Coupé mitgearbeitet hat, vor allem aber am Prestigeobjekt P100, dem »großen Borgward«. Noch deutlicher spricht beim Goliath-Hansa 1300 von 1960 die Front mit der Blinker-Standleuchteneinheit eine deutliche Frua-Formensprache. 1961 musste Borgward Konkurs anmelden.
Design zwischen Detroit, Turin und Lüneburger Heide: Der Borgward P100, das Repräsentationsfahrzeug mit Luftfederung und Komfort á la Mercedes. 

Mittwoch, 29. Mai 2013

Folge 16: Kritik der praktischen Vernunft

"Designer-Autos", also Autos, die von Designer-Designern designt wurden, haben häufig etwas Seltsames, und noch häufiger gehen sie gar nicht erst in Serie. Es scheint, dass das grundlegende Nachdenken über das Automobil zu so radikalen Lösungen führt, dass weder Publikum noch Industrie angetan sind. Die Form wird beim Vernunft-Design entweder nachlässig als notwendiges Übel mitgezeichnet oder bewusst als vernünftige Form ohne Schnickschnack konzipiert.
1965 wurde der Prototyp des "Autonova Fam" präsentiert, ein kompakter Van für Stadt und Reise. Konzipiert und designt hatten ihn der damals sehr bekannte Autojournalist Fritz B. Busch und zwei Studenten der Hochschule für Gestaltung in Ulm, Michael Conrad und Piero Manzoni (in lombardischer Schreibweise Pio Manzú). Der Wagen sollte das Stadtauto der Zukunft werden.

Der Autonova Fam von Michael Conrad, Piero Manzú und Fritz B. Busch. Foto M. Caspers
Conrad und Manzoni/Manzù durften nach eigener Aussage an der HfG Ulm "Autos nicht einmal erwähnen", wie es im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, Ausgabe 39 von 1965 hieß, wollten aber unbedingt Autos designen. Das Projekt Autonova machten sie heimlich. Die Zurechnung des Autonova Fam zu den Studienleistungen der HfG Ulm ist somit nicht zutreffend.
Die Bodengruppe kam vom deutschen Hersteller Glas, dessen 1300 ccm-Motor als sehr fortschrittlich und leistungsstark galt. Gesponsort wurde das Konzeptauto außerdem von NSU und dem Reifenhersteller Veith-Pirelli. Alle Medien berichteten, für die Sponsoren hatte der "Fam" seine Schuldigkeit getan.
Das Problem: Den "Fam" konnte man – wie es Der Spiegel genüsslich tat – nicht allein der Form wegen, sondern der Technik wegen kritisieren: zu schwer, zu stark motorisiert, zu schlecht verarbeitet. Da die Form keinerlei Repräsentationsaspekte bot und der Prototyp auch noch in Weiss lackiert war, standen die Chancen für die Serienfertigung schlecht.
Conrad gründete nach dem Studium mit zwei Ex-Kommilitonen ein Designbüro bei Stuttgart; Manzù ging zu Fiat und entwarf dort 1969/70 den Fiat 127, bevor er kurz darauf unerwartet starb. 




Dienstag, 28. Mai 2013

Folge 15: Automobildesigner werden – wie ging das?

1928 gilt als Geburtsjahr des Industrial Design: Raymond Loewy bekommt seinen ersten Auftrag als Formgestalter und macht sich daraufhin als Industial Designer selbstständig; Harley Earl ist von L.A. nach Detroit zu General Motors gewechselt und baut die Art & Colour Section auf, die erste Designabteilung bei einem Automobilhersteller. Mit zunehmendem Einfluss der Form auf den Verkaufserfolg werden Industrial Designer und Stylisten (so heißen die Entwerfer für Autos bis in die 1980er Jahre) Hände ringend gesucht. Doch woher nehmen? Den Beruf gab es ja vorher gar nicht.


Fisher Body Craftsman's Guild Competition 1947: Der Sieger heißt Chuck Jordan. Vier Jahrzehnte später ist er Vice President of Styling bei General Motors. Von 1967 bis 1970 war er Head of Styling bei Opel und verantwortlich für das CD Concept, den GT, Manta und Commodore.

 Zur gleichen Zeit arbeitet man in Europa – bspw. im Bauhaus – mit Hochdruck an der Ausbildung von Industriegestaltern, allerdings kämpft man mit dem Prototypenbau für Möbel, Leuchten und Kaffeegeschirr. An Automobile wagt sich niemand.
Die ersten Automobildesigner sind im früheren Leben Zeichner bzw. Werbegrafiker gewesen; jetzt versuchen sie, ihr dreidimensionales Verständnis und ihre Phantasie  in 1:1-Zeichnungen mit Kohle oder Kreide auf die Studiowand zu bringen. Der enorme Bedarf an Designern allein bei GM führt dazu, dass der Konzern gemeinsam mit dem Karosseriehersteller Fisher Body einen Wettbewerb für talentierte Jungen startet, die Fisher Body Craftsmanship. Aus den eingereichten Zeichnungen und Modellen werden die besten ausgewählt und veröffentlicht, ihre Schöpfer können eine Ausbildung in den werkseigenen Ateliers machen und als Stylisten beginnen. Dem Leiter der Stylingabteilung von GM, Harley Earl, ist sehr an der Ausbildung des Nachwuchses gelegen. Vor 1930 hatte es nur Privatunterricht bei ehemaligen freiberuflichen Entwerfern wie dem amerikanischen Pionier Andrew F. Johnson gegeben, die ihre Kursinhalte teilweise auch postalisch als Fernstudium anboten. Jetzt bieten die großen Automobil- und Karosserie-Hersteller Inhouse-Colleges für talentierte Zeichner an.


Der ehemalige GM-Designer Strother McMinn unterrichtet Automotive Design am Pasadena Art Center College; 1960. Foto: Art Center College of Design

Die ersten "regulären" Colleges Amerikas, in denen man Design studieren konnte, waren das Pasadena Art Center College of Design in Los Angeles (ab 1931) und die Pratt School of Design in New York (ab 1932). GM baute ab 1938 ein eigenes Institut, das Detroit Institute of Automotive Design (DIAS) auf. Erst in den 1950er Jahren wandten sich einige wenige Kunst- und Designhochschulen dem Industrial Design im Allgemeinen und dem Automotive Design im Besonderen zu. Deshalb haben die meisten europäischen Designer, die zwischen 1955 und 1970 ihre Karriere beginnen, noch keine Designausbildung im heutigen Sinn, sondern kommen als Zeichner und Illustratoren in die Entwurfsabteilungen – bei Pininfarina genauso wie bei Mercedes-Benz oder Auto-Union.

Montag, 27. August 2012

Folge 14: Ist Automobildesign männlich?


Ist Automobildesign männlich?
Die Frauen in den Studios

Wer die Namenslisten der Design- und Stylingstudios durchgeht, stößt selten auf weibliche Designer. Woher kommt das? Als das Automobildesign begann, eine eigene professionelle Branche zu werden, schienen sich nur Jungs für diesen Beruf zu begeistern. Die Talent- und Ausbildungswettbewerbe der „Großen Drei“ (GM, Ford, Chrysler) richteten sich dezidiert an junge Männer. In den späten 1930er Jahren erkannte die Marktforschung, dass die Entscheidung zum Autokauf in großem Umfang von Frauen mitbestimmt wurde. Ihnen musste der Wagen genauso gefallen wie dem Mann. So kam man auf eine interessante Teilung: Exterior Design wurde von Männern für Männer gemacht. Sozialprestige, Status, Posing – das musste vom Karosseriedesign befriedigt werden. Innen jedoch musste der Wagen vor allem den Frauen gefallen: Sitzbezüge, Ausstattungsdetails, Schalter, Gadgets – das war die weibliche Seite des Automobils..

Der 1941er Modelljahrgang von Hudson war in vielen Details von Betty Thatcher-Oros designt worden.
 Die erste: Betty Thatcher
Der Wettbewerb auf dem amerikanischen Markt zwang vor allem die kleineren US-Hersteller, andere Wege zu gehen als die Großen. Hudson wollte es zu Beginn der 1940er Jahre der Konkurrenz zeigen, indem man für das Exterior Design bekannte Designer verpflichtete. Außerdem sollten die Interiors von einer Frau für Frauen gestaltet werden. 1939 kam die gerade zur Industriedesignerin graduierte Betty Thatcher zu Hudson, um die Modelljahrgänge 1940/41 zu designen. Bei Hudson lernte sie ihren Mann, den Designer Joe Oros kennen. Als dieser zu GM und später zu Ford wechselte, kündigte Betty Thatcher-Oros ihren Hudson-Vertrag, um Konkurrenzkonflikten aus dem Weg zu gehen.


Helene Rother, aus Leipzig stammend, hatte in Hamburg und Dessau (Bauhaus) studiert, war dann nach Paris gegangen und dort als Designerin sehr erfolgreich. 1940 floh sie über Casablanca in die USA. (Foto Wikipedia)
Der erste weibliche Stardesigner: Helene Rother
Die Deutsch-Französin Helene Rother schaffte etwas, was 1943 vollkommen ungewöhnlich war: Sie wurde Designerin bei GM. Doch nicht nur das: Die 1940 aus dem von den Nazis besetzten Frankreich mit ihrer 7-jährigen Tochter geflohene Rother gehörte außerdem zu den bestbezahlten Designern überhaupt. Sie verdiente 1945 monatlich $ 600, die meisten ihrer Kollegen nur etwa $ 200. 1947 machte sie sich erneut als Industriedesignerin selbständig und entwarf für verschiedene Hersteller Interieurs und Polsterstoffe. Nash, neben Studebaker der letzte verbliebene kleinere Hersteller, verpflichtete Rother von 1949 bis 1954 für die Innenausstattung und warb mit dem Slogan »Styling von Pininfarina, Innenausstattung von Madame Helene Rother, Paris«.

GM-Designchef Harley Earl mit dem ersten rein weiblichen Designteam der Automobilindustrie, um 1956. Die "Kacheln" an der Wand sind Farbmuster. (Foto GM Corp.)
 GM macht Ernst: Die erste weibliche Designabteilung
Der erste Designchef von GM, Harley Earl, galt als Rabauke: Er fluchte, trank, machte Mitarbeiter gerne einen Kopf kürzer und galt als extrem launisch. Aber er war auch ein extrem wacher Mensch, der Trends sofort aufspürte und dann durchsetzte, was er für notwendig hielt. 1955 krempelte er die Abteilung Interior Design um und besetzte ein Team nur mit Frauen. In der Presse firmierten die sechs Designerinnen im damaligen Jargon als die »Damsels of Design«, was etwa so seriös klingt wie das berüchtigte »Fräulein vom Amt«. Suzanne Vanderbilt, Marjorie Ford, Ruth Glennie, Sandra Longyear, Peggy Sauer und Jeanette Linder erarbeiteten komplette Zukunftsinterieurs für Automobile und Wohnungen, die man sich damals vor allem ferngesteuert vorstellte. 1961 schied Harley Earl als Designchef von GM aus. Sein Nachfolger Bill Mitchell hatte vieles mit Earl gemein, nur nicht die Experimentierfreude. 1963 löste er die Abteilung auf. Er war als Chauvinist überzeugt, dass nur Männer Autos entwerfen können.

Samstag, 25. August 2012

Folge 13: Design im British Empire, Pt. 1

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Design im British Empire, Teil 1
Klassenbewusstsein auf vier Rädern

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten britische Automobile teilweise als schnell, teilweise als luxuriös, teilweise als sportlich gegolten, gestalterisch waren sie nicht weiter aufgefallen. Aufregende Designs für Bentleys oder Rolls kamen von französischen Karrossiers; die automobile Form wurde erst ab 1950 als Argument am Markt erkannt.

Es war vor allem die Marke Jaguar, die bewies, dass das Design eines Autos – vorausgesetzt die Technik hielt mit – entscheidend am Erfolg beteiligt war. Die Limousinen zeichnete der Gründer William Lyons selbst, die Sportwagen entwarf der Aerodynamiker Malcolm Sayer, der nach dem Krieg aus der Luftfahrtindustrie zu Jaguar gekommen war. Der XK 120 von 1948, die Rennwagen C- und D-Type, vor allem aber der XK-E von 1961 machten Jaguar zu einer festen Größe der britischen Automobilindustrie. Gemessen an anderen Oberklasse-Limousinen waren die auch sportlicheren Jaguar-Saloons stilistisch bis 1963 weit vorne.
Der XK 120 von 1948 bezog sich auf die Stromlinie der späten 1930er Jahre (Talbot-Lago, Bugatti). Die MGs aus der gleichen Zeit waren im Vergleich dazu stilistisch gesehen Seifenkisten. Deckblatt des Prospekts für den internationalen Markt

Vom Oberhaus in die Vorstädte
Rover war neben Ford England bis in die 1960er Jahre einer von zwei Herstellern mit einer Designabteilung, die klein, aber fein war. David Bache hatte mit dem Rover P5 eine repräsentative Limousine gezeichnet, die englische Werte mit amerikanischen Einflüssen (Chrysler 300) vermischte. 1963 lieferte er mit dem P6 eine moderne Mittelklasse-Limousine ab, die 14 Jahre lang nahezu ohne Retusche in Produktion blieb.

Für die viel größere Austin-Gruppe spielte Design eine untergeordnete Rolle. Der Italiener Ricardo Burzi war Ende der 1920er Jahre auf Empfehlung von Vincenzo Lancia zu Austin gekommen und entwarf plumpe, knubbelige Modelle. Als man damit ab 1957 nicht weiter kam, beauftragte man – wen sonst? – Pininfarina, der für viele Jahre Austins Hausdesigner blieb. Der A40 Farina brachte italienisches Flair ins Reich des Nebels.
Der Triumph Herald war von Michelotti gezeichnet worden. Pininfarina hatte für den Austin Cambridge ganz ähnliche Heckleuchten und -flossen entworfen – ein bisschen Detroit für die Insel. Foto aus einem Verkaufsprospekt, ca. 1968.

Austins ewiger Rivale war Triumph-Standard. Auch hier suchte man Ende der Fünfzigerjahre nach neuen Lösungen, doch eine eigene Designabteilung gab es nicht. Da Pininfarina bereits gebucht war, blieb nur der Weg zum Konkurrenten Michelotti. Dieser entwarf zwischen 1957 und '77 alle Triumph-Modelle wie den Herald, den TR4, den 2000 und den Spitfire.

Design ohne Gestaltung?
Was ist eigentlich, wenn ein Auto vor allem seiner Form wegen geliebt und verehrt wird, diese Form aber nicht im klassischen Sinn »designt« wurde, sondern von einem Konstrukteur bzw. Ingenieur um die Technik herum »gefummelt« wurde? Natürlich sprechen wir auch hier von Design, denn das Objekt bzw. Produkt hat ja eine Gebrauchsform. Dem Erfinder des Austin Mini, Alec Issigonis, war Design suspekt. Er glaubte an die Überzeugungskraft der guten technischen Lösung, was ihm beim Mini auch gelang. Seine frühen Skizzen zum Mini zeigen auch, dass er von Anfang an eine Vorstellung der Karosserieform hatte, auf die Ausarbeitung von gestalterischen Details, ja gar eine Ausschmückung verzichtete er ganz bewusst. So gelangte der Mini in die paradoxe Situation, innerhalb weniger Jahre nach seinem Erscheinen 1958 zu einem Zeichen von Modernität, Hipness, Swinging London etc. zu werden, obwohl er konstruiert und nicht designt worden war. Heute gilt er als Design-Ikone ...
Alec Issiginis' Geniestreich: Der »Mini« von Austin, Morris, Riley, Wolseley, Innocenti. Ein Auto »ohne« Design, dessen Form (ähnlich wie beim VW Käfer) Symbol einer Zeit und eines Lebensstils wird. Pressefoto von 1962

Das Elend der britischen Autoindustrie lag noch in weiter Ferne – doch der Verzicht auf technische und gestalterische Weiterentwicklung begann bereits Mitte der 1960er Jahre.

Freitag, 17. August 2012

Folge 12: Gestalterische Investitionen

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Europa in den 1950er Jahren

Als sich die Nachkriegswirtschaft erholt hatte und neue politische und wirtschaftliche Stabilität in Europa herrschte, war die Nachfrage oft größer als das Angebot und die Aussicht auf ein funktionierendes Produkt ließ sein Aussehen oft in den Hintergrund treten. Das war auch beim Automobil so. Bis 1955 produzierten die meisten Hersteller leicht modifizierte Vorkriegsmodelle. In den wenigen Stylingabteilungen standen Männer, die schon Ende der 30er Jahre dort gestanden hatten: Herrmann Ahrens und Friedrich Geiger bei Mercedes, Peter Szymanowski und Wilhelm Meyerhuber bei BMW, Erwin Kommenda bei Porsche. Ford und Opel arbeiteten nach Vorgaben aus den USA, »Gastdesigner« aus den großen Stylingstudios zeigten ihren deutschen Kollegen, wo es lang gehen sollte. Doch um 1957 änderte sich die Einstellung. Design war ein Verkaufsargument auf einem Markt geworden, der durch das Wirtschaftswunder plötzlich hart umkämpft war. Das amerikanische Design war durch die vielen in Deutschland stationierten US-Truppen gegenwärtig. Die italienische Schule machte mit italienischen Sportwagen, aber auch mit Entwürfen für Peugeot, Austin, Triumph auf sich aufmerksam und setzte Trends.

Neue Linien
1957 stellt Mercedes zwei junge Designer ein, den Franzosen Paul Bracq und den Italiener Bruno Sacco. Unter ihrem Chef Geiger erarbeiten sie die neuen Linien für die 1960er Jahre. Heraus kommen die berühmten Flachkühlermodelle W111/112, der Pagoden-SL und der 600. Sie katapultieren die biedere Marke plötzlich auf eine Höhe mit italienischen oder französischen Entwürfen, was man bei Mercedes nicht gerne sieht – bloß nicht modisch werden.
Mercedes Benz Reihe W111 – 1961 der Beginn der Abkehr vom Flossenbarock (Daimler AG)

BMW geht es zur gleichen Zeit so schlecht, dass eine Übernahme durch Mercedes denkbar scheint. Veraltete Modelle (der »Barockengel«), eine lückenhafte Modelpalette, verfehltes Management. Auch der von Goertz designte Supersportwagen 507 kann daran nichts ändern. Mit Geld der Familie Quandt und einer neuen Modellpolitik gelingt die Wende. Dazu trägt nicht unwesentlich ein italienischer Designer bei: Giovanni Michelotti gestaltet den Kleinwagen BMW 700, der ein Verkaufsschlager wird und arbeitet danach maßgeblich an den neuen Mittelklassemodellen 1500 und 2000 mit, der legendären »Neuen Klasse«, die mit dem Motto »Aus Freude am Fahren« eingeführt wird.
BMW 700: klassische Trapezform von 1960. Design Giovanni Michelotti (Foto: BMW AG)
Styling als Sieg der Vernunft
1960 sieht es so aus, als könne kein europäischer Hersteller auf die Hilfe externer Designer – in der Regel Italiener – verzichten. Doch dann tritt Ford den Gegenbeweis an mit dem Modell  17M/P3. Ein Team um den aus dem Ford Styling Headquarter kommenden Wes Dahlberg und den jungen deutschen Designer Uwe Bahnsen entwirft eine hochmoderne, elegante Karosserie, die übersichtlich, klar geformt und auch noch strömungsgünstig ist. Die Front mit den in die Karosserie integrierten Stoßstangen und den in die Stoßstangen integrierten Blinkern wird ein Leitbild für alle Ford Modelle bis in die Siebzigerjahre. »Die Linie der Vernunft« textet das Marketing.
Linie der Vernunft: Große Glasflächen, glatte Karosserie, integrierte Front. Der Ford 17M / P3 setzte 1961 Maßstäbe im Design (Foto: Ford AG)